Abenteuer
eines Amtsarztes
Unglaublich wahre
Kurzgeschichten
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28. Der Kondomstreit
Der folgende köstliche Beitrag stammt ausnahmsweise nicht aus der Feder des Amtsarztes, sondern ist eine Glosse von Martin Zips aus der Süddeutschen Zeitung vom 24. September 1998. Sie behandelt die Vorgänge um eine Kondomaktion unseres Gesundheitsamtes zum Welt-Aidstag und trägt die Überschrift "Begegnungen":
Die gute Absicht: Eine beim Gesundheitsamt Garmisch beschäftigte Sozialpädagogin will in sämtlichen Garmischer Hotelzimmern Kondome auslegen. Gegen Aids, für Safer Sex und so. Die schlechte Nachricht: Der Chef des dortigen Hotel- und Gaststättenverbandes findet so ein Vorhaben unziemlich. Schließlich habe man in Garmisch "70 bis 80 Prozent ältere Gäste". Ein "Safer-Sex-Pack" wäre "indiskret" und würde "in die Privatsphäre unserer Gäste eindringen". So wird er in der Bild-Zeitung zitiert.
Der Schluss des Fachmanns ist ein zweifelhafter. Schließlich sagt das Alter der Hotelbesucher gar nichts über deren Übernachtungsriten aus. Hat nicht kürzlich die Studie eines Kondomherstellers ergeben, dass gerade die jüngeren Menschen immer weniger Lust auf Sex haben? Zuviel Hektik, zuviel Depression, zuviel Panik vor dem Vorstellungsgespräch. Richtig abturnend, das. Die Älteren haben dergleichen schon lange hinter sich. Sie sitzen satt und zufrieden wie Onkel Ulrich einen Großteil ihrer Zeit in Partenkirchener Pensionen und Hotels ab. Sie essen, trinken, spazieren, schwimmen. Und schlafen! Die Jüngeren hingegen verirren sich höchstens mal auf einer Dienstreise dorthin. Oder zu unziemlichen Begegnungen. Trotzdem rät der Garmischer Hotelverbands-Vorsitzende von einem Präservativ unter dem Kopfkissen ab.
Wenn in Garmisch ausschließlich Hongkonger übernachten würden, müsste man dem Mann unter Umständen recht geben. Diese nämlich bilden momentan mit 57 "Begegnungen" im Jahr – sexuell gesehen – das weltweite Schlusslicht. Sagt die oben zitierte Studie. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Übernachtung in Garmisch-Partenkirchen ein Kondom benötigen, ist damit weitaus geringer als bei den französischen Touristen, die sich jährlich angeblich 141-mal begegnen (absoluter Weltrekord!). Andererseits: Was ist, wenn sich der Hongkonger nur während seines Urlaubs in Garmisch, dafür aber insgesamt 57-mal hintereinander begegnet? Dann würde ein Kondom weiß Gott nicht mehr reichen. Auf diesen Aspekt sollte man die Sozialpädagogin vom Gesundheitsamt noch unbedingt aufmerksam machen.
Abgesehen von Viagra sprechen insgesamt zwei Gründe dafür, neben Bibeln und Kleiderbügeln auch Kondome in den Erlebnisraum Garmischer Hotels mit aufzunehmen. Erstens: Jeder dritte Mann hat in den letzten drei Monaten ein solches Prophylaktikum benutzt – unabhängig von seinem Alter. Zweitens: In Garmisch haben im letzten Jahr 6215 Franzosen übernachtet. Und nur 227 Touristen aus Hongkong.
(1998)