Abenteuer
eines Amtsarztes |
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22. Zöllner
Zöllner haben ja schon in der Bibel keinen guten Ruf, so dass sich Jesus ihrer als Kranker besonders annahm (Lukas 5, 30+31). Zum Verständnis des folgenden Briefes muss man wissen, dass ein deutscher Zollbeamter grundsätzlich bundesweit versetzbar ist. Und dass unsere heimischen Isartaler Zöllner sich bei ihrer Einstellung in ihren schlimmsten Alpträumen nicht hatten vorstellen können, dass eines Tages die Grenzkontrolle zu unserem Nachbarland Österreich wegfallen würde. Als es dann doch soweit war, durften sich die über 55 Jahre alten Kollegen in den vorzeitigen Ruhestand verabschieden. Wer 1 Tag jünger war, hatte dagegen noch 10 bittere Jahre Dienst an weit entfernten Standorten vor sich. Dies führte zu auffällig vielen Krankmeldungen, entsprechenden Untersuchungsaufträgen für den Amtsarzt und dessen folgenden Hilferuf an die oberen Zollbehörden:
Häufung dienstunfähig erkrankter Zollbeamter im Landkreis Garmisch-Partenkirchen
Sehr geehrte
Damen und Herren,
im Jahr 1999 mussten wir bei den Bundes-Zollbeamten unseres Landkreises eine
zehnfach höhere Dienstunfähigkeitsquote als bei den bayerischen Staatsbeamten
feststellen. Während dem Gesundheitsamt acht Zollbeamte (also etwa 10 Prozent
derer mit Wohnsitz im Landkreis) zur Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit
vorgestellt wurden, waren es bei der MUS ebenfalls nur acht bayerische
Staatsbeamte (entspricht 1 Prozent der fast 800 im Landkreis). Ihrer
Personalverwaltung ist dieses Phänomen ebenfalls nicht unbemerkt geblieben und
wird als „Werdenfels-Virus“ bezeichnet.
Dabei haben wir vier Begutachtungen im Auftrag des HZA Rosenheim, drei für die OFD Nürnberg, Außenstelle München, und eine für das HZA Hof durchgeführt. Aus der Übersicht der Fälle stellt sich folgendes naturgemäß verallgemeinertes Bild dar, welches deshalb keinesfalls auf den konkreten Einzelfall übertragen werden darf:
Der Zollbeamte ist Mitte Fünfzig und wohnt im oberen Isartal.
Er war zumindest früher sportlich aktiv und körperlich topfit.
Seit Wegfall der Grenzkontrollen zu Österreich am 1.1.1995 und Versetzung an mindestens 70 bis 120 km entfernte Dienstorte sind die jährlichen Krankheitstage von 10 über 20, 40, 80 auf 120 gestiegen.
Die Arbeitsmotivation liegt bei Null, weiter fühlt er sich gemobbt. Er trauert dem damaligen goldenen Handschlag nach und erstrebt ebenfalls eine vorzeitige Pensionierung.
Er leidet an belegbaren Verschleißerscheinungen des Bewegungsapparates sowie psychosomatischen Beschwerden im Sinne einer konfliktreaktiven Depression, das heißt er ärgert sich über sein Arbeitsumfeld.
Mehrere Kuren brachten keinen Erfolg.
Wacht er morgens nicht völlig beschwerdefrei auf, sucht er den nahe gelegenen Hausarzt und nicht die entfernt gelegene Dienststelle auf.
Der behandelnde Arzt sieht seine Rolle nicht als „Kontrolleur oder Sheriff“ (Originalzitate), sondern bescheinigt jeweils Arbeitsunfähigkeit. Die vorgelegten Arztbriefe enden jeweils mit der Empfehlung einer Pensionierung.
Der zusätzlich hinzugezogene gemeinsame Facharzt praktiziert zwei Landkreise weiter.
Wird laut unabhängigen Fachgutachtern Dienstfähigkeit festgestellt, tritt der Beamte den Dienst nicht oder nur kurz an und macht dann Krankheiten auf einem anderen Fachgebiet geltend, zuletzt auf nervenärztlichem.
Sowohl Beamter als auch Dienstvorgesetzter lassen erkennen, dass eine vorzeitige Ruhestandsversetzung für alle Beteiligten das Beste wäre.
Der Amtsarzt will sich aber nicht zu unrichtigen Gefälligkeitsattesten missbrauchen lassen, weil er sich seinem Gewissen (übrigens auch dem Strafgesetzbuch), dem Steuerzahler, den Zollkollegen und allen übrigen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet fühlt, die bei vergleichbaren oder sogar schlimmeren Beschwerden dennoch ihren Dienst verrichten.
Ausblick:
Haben
verschiedene unabhängige Fachgutachter für ihr Gebiet Dienstfähigkeit
bescheinigt, verlangt der Dienstvorgesetzte auch bei akuter Erkrankung jeweils
kurzfristig ein amtsärztliches Attest, womit das Gesundheitsamt an seine
Kapazitäten gelangt, weil es schließlich auch noch seine Dienstaufgaben für den
Freistaat Bayern erfüllen muss. Nimmt der Beamte den Untersuchungstermin nicht
wahr, muss notfalls ein Hausbesuch (Hin- und Rückreise 1 Stunde) durchgeführt
werden. Öffnet der Beamte nicht, lag er entweder bewegungsunfähig im Bett oder
war gerade beim Arzt oder Apotheker. Selbst wenn er angetroffen wird, gibt es
eine Fülle von Beschwerden, die amtsärztlich nicht objektiviert werden können,
aber gleichwohl dennoch vorhanden sein können. In der Regel wird der Amtsarzt
deshalb die hausärztliche Krankschreibung nicht aufheben können. Nach der
Genesung erkrankt der Betroffene bald wieder, und das Spiel beginnt von vorn.
Greift der Dienstvorgesetzte zu disziplinarischen Maßnahmen, klagt der Beamte
vor dem Verwaltungsgericht. Dort erhält er nach der jüngsten Entscheidung Recht,
weil kein Arzt, auch kein Amtsarzt, objektiv das Ausmaß der subjektiv
empfundenen Beschwerden bestimmen kann. Mit der schließlich erreichten
Ruhestandsversetzung melden sich weitere Kollegen dienstunfähig krank.
Wir bitten deshalb die zuständigen Stellen, die Umstrukturierung und den Personalabbau beim Zolldienst nicht auf dem Rücken des Amtsarztes auszutragen, sondern vermehrt Maßnahmen der Personalführung einzusetzen und/oder eine politische Lösung zu finden.
(2000)