Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

21. Huren

Selbstverständlich ist auch dem Landkreis Garmisch-Partenkirchen nichts Menschliches fremd. Seit 1989 ist allerdings hierzulande die Prostitution verboten, da unsere Gemeinden sämtlich weniger als die zur unteren Grenze für erlaubte Liebesdienste bestimmten 30.000 Einwohner haben. Früher, als diese Schallmauer noch bei 20.000 lag, waren bis zu 13 Prostituierte beim Gesundheitsamt gemeldet. Diese mussten regelmäßig auf das Vorliegen von Geschlechtskrankheiten wie Tripper und Syphilis als auch einer HIV-Infektion untersucht werden. Weiter wurden sie dazu verpflichtet, den Geschlechtsverkehr nur mit Kondom geschützt auszuüben.

Aus dieser Zeit der erlaubten Prostitution stammt unser erster Bericht. Er könnte "die Vorspeise" heißen. Im hiesigen Bordell wurde eine frisch eingeflogene blutjunge Brasilianerin in die Geheimnisse der Liebeskunst eingeführt. Die Kunden konnten sich mehr oder weniger intensiv mit ihr beschäftigen, bevor es dann mit erfahrenen Damen endgültig zur Sache ging. Die junge Anlernkraft hatte jedoch einen Makel mitgebracht, wie sich bei der ersten Untersuchung zeigte. Sie litt an einer behandlungsbedürftigen und leider auch ansteckenden Syphilis. Und nun begann ein Drama, das sich vor allem in Nordrhein-Westfalen abspielte, weil von dort einige liebesbedürftige Teilnehmer am hiesigen Kongress stammten, die offenkundig nicht nur diesen besucht hatten. Alle Kunden unserer schwarzen Perle galten als ansteckungsverdächtig. Über die Polizei ermittelt werden konnten allerdings nur diejenigen, die unklugerweise nicht bar, sondern mit Scheck bezahlt hatten. Die für die Wohnorte zuständigen Gesundheitsämter wurden von uns angeschrieben und führten die notwendigen Ermittlungen durch. Man kann sich unschwer die häusliche Problematik vorstellen, wenn derartige Briefe mit dem verhängnisvollen Betreff Vollzug des Geschlechtskrankheitengesetzes nicht vom Angeschriebenen selbst, sondern von dessen Ehefrau geöffnet wurden.

Damals gingen auch noch vermehrt beim public health officer, also dem Amtsarzt, Reports of a venereal disease contact der hiesigen US-Streitkräfte ein. Die Ermittlungen gestalteten sich regelmäßig als sehr schwierig, da der Nachname der flüchtigen Bekanntschaft (pick up) aus der Disco XY meist nicht bekannt war, wir also beispielsweise nach einem blonden German girl named Susi, besondere Kennzeichen no glasses, fahnden sollten.

Später, als die Prostitution hierzulande verboten war, musste das Geschehen noch mehr im Dunkeln ablaufen. Beim Gesundheitsamt meldete sich eine erboste Ehefrau. Ihr Mann habe sich in der Oben-ohne-Bar "Bauerntoni" einen Tripper eingefangen. Der ins Gesundheitsamt zitierte Geschlechtskranke berichtete zerknirscht, dass er von sich aus in angeregter Stimmung in besagtem Etablissement die Bedienung, genannt die schwarze Nora, zum "Schnakseln" aufgefordert und sie hierfür von 150 auf 100 DM heruntergehandelt habe. Der Liebeslohn sei aber noch zu hoch gewesen, da er drei Tage später einen brennenden übelriechenden Ausfluss bei sich bemerkt habe. Er habe das Gefühl gehabt, Glasscherben zu pinkeln. Aus nachvollziehbaren Gründen wollte er zunächst seine Angetraute nicht einweihen, aus weniger verständlichen aber auch keinen Arzt aufsuchen. So griff er zu einer heroischen Selbstbehandlung. Er besorgte sich in einer Apotheke eine Spritze sowie ein Desinfektionsmittel und drückte sich dieses selbst in Harnröhre und Blase. Es habe furchtbar gebrannt, aber dann sei endlich Ruhe gewesen. Dann habe er sich allerdings doch verplappert. Nun galt es, die schwarze Nora zum Amtsarzt zu bekommen. Mehrere Vorladungen auch mit Postzustellungsurkunde konnten nicht ausgeliefert werden. Also musste jemand vom Gesundheitsamt die verdächtige Person persönlich an ihrer Wirkungsstätte aufsuchen. Überraschend schnell erklärte sich unser immerhin verheirateter Gesundheitsaufseher zu diesem abendlichen Dienstgang bereit. Gewarnt durch das einschlägige Stück von Ludwig Thoma schärfte der Amtsarzt ihm sicherheitshalber ein, dass das Subjekt der Ermittlungen aufgrund der vorhandenen Aussagen nicht mehr extra der Prostitution überführt werden müsse. Da der Fahnder die Dame bei einem ersten ausgiebigen Besuch nicht antraf, opferte er noch einen weiteren Abend, der von Erfolg gekrönt war. Wenige Tage später fuhr nämlich die schwarze Nora (noire!), dunkelhaarig mit Sonnenbrille und schwarz gekleidet, in einem dunklen Mercedes mit getönten Scheiben und in Begleitung ebensolcher Dunkelmänner beim Gesundheitsamt vor. Natürlich leugnete sie den Vorwurf der Prostitution. Sie habe sich an jenem Abend in ihren charmanten Gast verliebt und den empfangenen Geldschein als Geschenk gedeutet. Wohl durch den Zeitablauf bedingt, war bei ihr keine Geschlechtskrankheit mehr nachweisbar, die weitere Ausübung der kommerziellen Liebesdienste wurde durch die Polizei unterbunden.

Die dritte Geschichte beschäftigt sich mit einer Einrichtung für besondere sexuelle Neigungen, nämlich einer Einlaufpraxis. Per Handzettel hatte eine Schwester Martha im Schwesternwohnheim des Kreiskrankenhauses eine gut bezahlte Nebenbeschäftigung angeboten. Gesucht wurde eine aufgeschlossene, möglichst resolute examinierte Krankenschwester für die Verabreichung von Einläufen, Darmbädern und Klistieren. Bei der Besichtigung der Einlaufpraxis stieß der Amtsarzt auf interessante Einrichtungsgegenstände. An der Decke befestigt war ein Flaschenzug, an der Wand hingen verschiedene Katheter, Gummischläuche und Plastikschürzen. Neben einer Badewanne stand ein funktionsfähiger gynäkologischer Untersuchungsstuhl. Auf die Frage, wozu denn die ebenfalls vorgefundene Gasmaske diene, antwortete Schwester Martha, dass es bei ihren Verrichtungen zwangsläufig auch zu Geruchsbelästigungen käme. Weiter wies sie Einverständniserklärungen ihrer Kunden vor, wonach diese eine ausgiebige Einlaufbehandlung mit allen erdenklichen Konsequenzen und zwar wahlweise sanft, normal, streng oder auch mit Äther wünschten. Zweifel an der Sicherheit der Einrichtung bekam der großgewachsene und entsprechend gewichtige Amtsarzt bereits, als er sich probehalber an die Hebevorrichtung hängte und diese samt Haken und Dübel aus der Decke löste. Weiter musste er unzureichende Reinigungs- und Desinfektionsmöglichkeiten der wieder verwendeten Katheter und Gummischläuche feststellen. Er untersagte den Betrieb wegen der möglichen Infektions- als auch Verletzungsgefahren. Damals konnte er noch nicht ahnen, welche rechtlichen Schwierigkeiten auf ihn zukamen. Es stellte sich nämlich bei der juristischen Auseinandersetzung heraus, dass es sich bei der Einlaufpraxis weder um Prostitution, noch um ein Gewerbe, noch um einen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz handelte. Prostitution lag nicht vor, weil tatsächlich nur Einläufe an Kunden mit speziellen Neigungen verabreicht wurden und kein Geschlechtsverkehr ausgeübt wurde. Diese Verabreichungen zur sexuellen Stimulation fielen auch nicht unter die Gewerbeordnung, weil eine derartige Tätigkeit ähnlich der Prostitution als sozial unwert einzustufen war. Und schließlich handelte es sich um keine unerlaubte Ausübung der Heilkunde, da die Maßnahmen ja nicht der Behandlung von Krankheiten, sondern zur Steigerung des körperlichen Wohlbefindens von ansonsten Gesunden dienten. Am Ende griff nur noch das allgemeine Sicherheitsrecht und erst nach ausführlicher Darstellung der konkreten Gefahren samt entsprechender Begründung durch den Amtsarzt wurde der Betrieb geschlossen. Offenbar reicht in unserer Gesetzeswelt manchmal der gesunde Menschenverstand nicht aus.

(1988 + 1991)


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