Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

20. Heilpraktikerinnen

Die erste Geschichte trägt den Titel "ägyptische Sympathieheilkunde". Die 60-jährige Frau war dem Gesundheitsamt von einem Apotheker angezeigt worden. Sie beziehe von ihm regelmäßig homöopathische Lösungen in Großflaschen, die sie portionsweise an ihre Hilfe suchenden Patienten abgebe. Im Gesundheitsamt erschien eine düstere, schwarzgekleidete Frau mit dunklen, streng zurückgebundenen Haaren und stechendem Blick. Sie bestätigte, dass am Tag etwa 10 bis 20 verzweifelte, meist schwer krebskranke Personen ihren Rat suchten. Sie betreibe die sogenannte ägyptische Sympathieheilkunde. Diese könne sie aber leider nicht näher erläutern, da wer dieses Geheimnis verrate, an Krebs sterben würde. Immerhin war soviel herauszubringen, dass sie offenbar magische Formeln auf Zettelchen schrieb, die ihre Patienten quasi als Talisman am Körper tragen mussten. Weiter meditiere sie über den geschilderten Krankheiten nachts am Wasser des nahegelegenen Flusses. Als der Amtsarzt ihr erläuterte, dass es sich hierbei um eine unzulässige Ausübung der Heilkunde handle, weil sie keine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz besitze, verengten sich ihre Augen bedrohlich: "Merken Sie sich eines, Herr Doktor, wer Böses tut, auf den kommt das Böse zurück." Wenn sie in der Lage sei, Gutes zu schicken, dann könne sie natürlich auch Böses senden. Der Amtsarzt blieb äußerlich unbeeindruckt und untersagte ihr dennoch diese Tätigkeit. Als er nach Dienstschluss in seine Wohnung zurückkehrte, empfing ihn seine Ehefrau mit einem riesigen Blumenstrauß, der von einer schwarzgekleideten Frau abgegeben worden war.

Als die Gerüchte nicht aufhörten, dass die Wunderheilerin auch weiterhin ihr Geschäft ausübe, musste der nachgeordnete Arzt des Gesundheitsamtes in Aktion treten. Er suchte sie inkognito an ihrer Wirkungsstätte auf und gab sich als Patient mit Kniebeschwerden aus. Im Warteraum traf er mehrere Personen an, die erzählten, dass es gelegentlich bis zu fünf Stunden dauere, bevor man dran käme. Man erhalte sein Zettelchen und einen Heiltee und lege dafür einen Geldschein auf den Tisch. Die Kräuterfrau betastete das in Wirklichkeit gesunde Kniegelenk und stellte eine nicht vorhandene Schwellung fest. Sie verordnete nächtliche Umschläge mit einem ampferähnlichen Unkraut und händigte einen Bittertrunk aus. Damit war sie überführt. Ihr wurde nochmals per Anordnung die Ausübung der Heilkunde untersagt. Jedoch steht bei dem breiten Aberglauben in unserer Bevölkerung zu befürchten, dass sie auch weiterhin von Hilfesuchenden, allerdings noch mehr im Verborgenen, in Anspruch genommen wird. Inzwischen hat ihre Tochter eine Ausbildung zur Heilpraktikerin begonnen, um das Geschäft ihrer Mutter legal weiterführen zu können. Zum Abschluss der Geschichte soll nicht unerwähnt bleiben, dass der junge Amtsarzt nur kurze Zeit später ausgerechnet einem Krebsleiden erlag.

Auch im zweiten Fall geht es um Krebsbehandlung. Eine Drogistin hatte im lokalen Anzeigenblatt wie folgt annonciert: Ernährungs- und Heilkräuterberatung bei Rheuma, Allergie und Krebsnachsorge. Der Amtsarzt war der Ansicht, dass hier sowohl eine unerlaubte Ausübung der Heilkunde als auch ein Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz vorlag. Er schaltete deshalb Staatsanwaltschaft und Regierung ein. Nun entspann sich ein juristisches Tauziehen um die Frage, ob Ernährungs- und Heilkräuterberatung tatsächlich schon Ausübung der Heilkunde ist und ob Krebsnachsorge auch Behandlung umfasse. Der Anwalt der Beschuldigten argumentierte, dass nach allgemeinem, also nicht medizinischem Sprachgebrauch eine Ernährungsberatung bei Krebsnachsorge den Zustand nach einer Geschwulstkrankheit meine. Letztendlich wurden beide Verfahren von Staatsanwaltschaft und Gericht eingestellt. Als der Gesundheitsaufseher des Gesundheitsamtes eines Tages für neue Ermittlungen vor Ort erschien, prangte ihm ein nagelneues Schild mit der Aufschrift Naturheilpraxis entgegen. Die Drogistin hatte nämlich inzwischen von einer auswärtigen Kreisverwaltungsbehörde die entsprechende Erlaubnis erhalten. Hierzu muss man wissen, dass die Ausbildung zum Heilpraktiker gesetzlich nicht geregelt ist und die Überprüfung am Gesundheitsamt überall dort absolviert werden kann, wo man sich später glaubhaft niederlassen will, und dass man diese Überprüfung beliebig oft wiederholen kann.

(1990)


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