Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

15. Die Brotzeitbank

"Wanderer, kommst du nach Saulgrub, gedenke ..."

Alle Jahre wieder (inzwischen nicht mehr) untersucht das Gesundheitsamt sämtliche Kinder im Landkreis, die eingeschult werden sollen, wollen oder müssen, zur Beurteilung ihrer Schulfähigkeit. Dabei werden speziell ausgebildete Kinderkrankenschwestern eingesetzt, sogenannte Assistentinnen im Gesundheitsdienst (neuerdings sozialmedizinische Assistentinnen), die Hör-, Seh-, Sprach- und andere Funktionstests durchführen und die Befunde der ärztlichen Untersucher festhalten.

So bereisen kleine Teams den Landkreis und besuchen jeden Kindergarten. Ihre Erlebnisse würden ein eigenes Buch füllen. Da ist das kugelrunde Kind, dessen Übergewicht die genauso beleibte Mutter für völlig normal hält, weil alle in der Familie "so stark" seien. Da ist der rotzfreche Knirps, der seinen verlegen lächelnden Vater ungestraft als alten Depp tituliert, der ihm die Schuhe zubinden soll. Da ist die "grüne" Mutter, die alle Impfungen ablehnt, weil diese nur Krebs verursachen würden und das Durchmachen der Kinderkrankheiten gesünder sei. Da ist das Mädchen mit dem deutlichen Sprachfehler, der ihrer ebenfalls nuschelnden Mutter noch gar nicht aufgefallen ist. Und da ist der fünfjährige, noch dazu entwicklungsverzögerte Professorensohn mit Geburtstag im Dezember, dessen Vater ihn für einen zweiten Einstein hält und unbedingt vorzeitig einschulen will.

Wann immer der Amtsarzt mit seiner Assistentin im nordwestlichen Landkreis zu tun hatte, legten sie eine kurze Rast an der alten Straße zwischen Saulgrub und Altenau ein. Dort befinden sich auf einer kleinen Anhöhe zwei Ruhebänke, auf denen sie genüsslich die wohlverdienten, von ihr spendierten Semmeln mit warmem Leberkäs verzehrten. Eines Tages beschloss der Arzt, diese Tradition zu würdigen und auch der Nachwelt zu erhalten, und schraubte heimlich ein Schild an die Banklehne mit der folgenden Aufschrift:

Zum ewigen Andenken an
Silvelin Ackermanns
Leberkässemmeln

Man kann sich die freudige Überraschung der betroffenen Kinderkrankenschwester beim nächsten Besuch unserer "Leberkäsbank" unschwer vorstellen. Noch am gleichen Nachmittag entführte sie stolz ihren Ehemann zu "ihrer" Bank. Zum Abschluss dieser Geschichte seien noch die verständnisvollen Gemeindearbeiter gelobt, die Jahre später nach dem Umstreichen der Bank von rot auf grün fein säuberlich dieses Gedenkschild wieder anmontierten.

(1995)

Nachtrag: In ähnlicher Weise ehrte der Amtsarzt auch seinen Kollegen anlässlich dessen Wechsel nach Dachau im Januar 2000 mit einem nun nicht mehr namenlosen Linderzufluss. Bei Ammer-Flusskilometer 197,6 findet sich seither ein Schild mit der Bezeichnung „Bergemann-Graben“.

Nachdem sein Hygienekontrolleur für Seuchenermittlungen auf einer Berghütte gleich zwei Polizeihubschrauber eingesetzt hatte, schuf er diesem auf dem Parkplatz des Gesundheitsamtes einen Hubschrauberlandeplatz (2013).

Und als sein Schafkopffreund im Juli 2009 mit einem epochalen Werk über das Franchising zum Doktor der Philosophie promovierte, wurde der berühmte Philosophenweg von Partenkirchen um eine neue Gedenktafel ergänzt. Dabei war der Philosoph bei der Gründung eines Nachhilfe-Instituts im Franchise-System wesentlich erfolgreicher gewesen als beim Nachhilfegeben im Kartenspielen, wie die stetig steigenden Verluste seiner drei Spielpartner eindeutig belegen.


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