Abenteuer
eines Amtsarztes |
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14. Das Kantinenessen
Jeder Beamte hat Anspruch auf eine angemessene Alimentation, die derzeit noch über die reine Versorgung mit Grundnahrungsmitteln hinaus geht. Nach den Kantinenrichtlinien steht jedem Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder jedenfalls beim Freistaat Bayern eine verbilligte Mahlzeit oder zumindest ein Essenszuschuss in Höhe von 1 DM am Tag zu. Von diesem großzügigen Angebot machte am Gesundheitsamt nur eine einzige Arztschreibkraft Gebrauch. Da unser kleines Amt mit seinen 16 Mitarbeitern über keine eigene Kantine verfügte, musste ein entsprechender Vertrag mit einer Metzgerei mit Imbissecke abgeschlossen werden. Nur dort durfte sodann arbeitstäglich eine Essensmarke eingelöst werden. Die Erstellung des mehrseitigen Vertrages, die Herstellung, Verwaltung, Ausgabe, Annahme, Sammlung und Abrechnung dieser Marken samt Briefverkehr und Porto verschlang ein Mehrfaches der monatlich anfallenden 20 DM für den eigentlichen Essenszuschuss. Nicht aus diesen, sondern aus anderen Gründen ging eines Tages der folgende Brief des Fleischwarenbetriebes im Gesundheitsamt ein:
Lohnrunde 1992;
Neufassung des BAT; Zuschüsse zur Gemeinschaftsverpflegung
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Zuge der Neufassung des BAT haben sich wesentliche Änderungen
in der Bezuschussung der Gemeinschaftsverpflegung ergeben. Insbesondere muss die in § 17
BAT ausgesprochene Verpflichtung des Angestellten zur Gesunderhaltung stärker in den
Vordergrund gerückt werden und eine stärkere Beachtung finden.
Dies beinhaltet bei einem vollschichtigen Arbeitsverhältnis die
Verpflichtung zur Einhaltung einer mindestens halbstündigen Mittagspause mit der
Gelegenheit zur vollwertigen Ernährung. Hier muss von der bisherigen Praxis des Bezuges
von Lebensmitteln auf sogenannte Essensmarken Abstand genommen werden. Es können im
Interesse der Arbeitnehmer nur noch Nahrungsmittel mit genau festgelegten Brennwerten
(Kilokalorien bzw. Kilojoule gestaffelt nach der körperlichen Belastung am Arbeitsplatz)
bezuschusst werden.
Im Falle Ihrer Angestellten, Frau Z. (leichte Bürotätigkeit)
wurde ein mittäglicher Kalorienbedarf von 632,5 kcal (2.650 kJ) aus der Nährwerttabelle
(biodynamische Kalorienzufuhr für Büroangestellte unter Berücksichtigung der
5-Stunden-Woche in der modernen Industriegesellschaft, herausgegeben von Professor
Magerlein) errechnet.
Da unter Berücksichtigung der von Ihrer Angestellten sitzend
ausgeführten Tätigkeiten die Verstoffwechslung durch körperliche Aktivität praktisch
zu vernachlässigen ist, muss bei der Ernährung auf tierische Fette und Kohlehydrate
gänzlich verzichtet werden.
Wir haben daher - Ihr wohlwollendes Interesse vorausgesetzt - die
mittägliche Nahrungszufuhr auf ein Hocheiweißpräparat umgestellt, das alle
lebensnotwendigen Vitamine und Spurenelemente enthält.
Um unsere Zusammenarbeit zu erleichtern, werden wir zukünftig
monatlich die entsprechenden Mittagsrationen an Sie versenden.
Die Übernahme der Portokosten wurde mit der Regierung von
Oberbayern abgestimmt, eine detaillierte Gebrauchsanweisung des Pulvers liegt den
jeweiligen Sendungen bei. Gleichzeitig verlieren Ihre Essensmarken ihre Gültigkeit.
Mit den besten Wünschen auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit und freundlichen Grüßen
XY Fleischwaren AG
Unbegreiflicherweise war die betroffene Mitarbeiterin mit dieser gesundheitsfördernden Neuregelung nicht einverstanden, da sie nicht auf ihren geliebten Schweinebraten oder Linseneintopf verzichten wollte. Wie die Ermittlungen ergaben, war im übrigen dieses Schreiben im Gesundheitsamt entstanden und bei den beigefügten Hocheiweißpräparaten handelte es sich um einige Päckchen ganz gewöhnliches Milchpulver.
(1992)