Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

8. Der Staatssekretär

Es war in den Anfängen der Aidsaufklärung, als das Bundesgesundheitsministerium allen Gesundheitsämtern vorübergehend Aidsfachkräfte zuteilte und der bayerische Staatssekretär Peter Gauweiler seine eigene Politik verwirklichte. In dem Maßnahmenkatalog wurde die Seuchenbekämpfung bei Prostituierten und Fixern als Ansteckungsverdächtigen geregelt, weiter sollten Asylbewerber und Ausländer als auch Beamtenanwärter auf das Vorliegen einer HIV-Infektion untersucht werden. Verständlich, aber inkonsequent blieb, dass die Hauptrisikogruppe, nämlich die Homosexuellen, in diese Ermittlungen nicht einbezogen wurde.

Der frisch beim Gesundheitsamt eingestellte junge Arzt hatte als Aidsfachkraft unter anderem einschlägige Betriebe wie Friseursalons, Piercing- und Tätowierstudios sowie Maniküre- und Pediküreanbieter wegen der notwendigen Desinfektionsmaßnahmen zu beraten. Dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist, musste der Amtsarzt bei seinem nächsten Friseurbesuch feststellen. Der Haarkünstler präsentierte ihm nämlich leicht verstört eine Palette geschmolzener und verbogener Kämme. Die übereifrige Aidsfachkraft hatte darauf bestanden, dass auch diese Gerätschaften aus Kunststoff wegen der Infektionsgefahr in den Sterilisator gehörten!

Dies brachte den Amtsarzt auf die Idee, seiner Aidsfachkraft einen harmlosen, aber unerwartet folgenreichen Streich zu spielen. Mit verstellter Stimme meldete er sich telefonisch bei dem jungen Kollegen als Büro des Herrn Staatssekretärs. Dann war der "schwarze Peter" selbst am Apparat. Er habe den vierteljährlichen statistischen Meldungen entnehmen müssen, dass sogar im christlich-konservativen Landkreis Garmisch-Partenkirchen einige HIV-infizierte Personen zu Hause wären. Er wolle unverzüglich genauere Einzelheiten einschließlich Name und Anschrift erfahren. Aufgeregt rannte der Angerufene zum Amtsarzt und legte sein Dilemma dar. Die HIV-Infizierten seien aufgrund freiwilliger anonymer Untersuchungen oder Meldungen erfasst worden und ihm deshalb nicht näher bekannt. Was er denn jetzt tun solle. Freundlich und natürlich nicht ganz ernst gemeint legte ihm der Amtsarzt nahe, eben diesen Sachverhalt dem vermeintlichen Herrn Staatssekretär darzustellen. In seinen kühnsten Träumen hätte er sich allerdings nicht vorstellen können, dass die verunsicherte Aidsfachkraft sogleich das Innenministerium anrief und sich mit dem Vorzimmer des Herrn Staatssekretärs verbinden ließ. Gottseidank war dieser gerade außer Haus und so wurde das Gespräch an den für Seuchenhygiene zuständigen Ministerialrat weitergeleitet. Und hier ging der Wahnwitz weiter. Dieser äußerte nämlich vorsichtig, ihm erscheine zwar der ganze Vorgang höchst merkwürdig, aber bei diesem Staatssekretär könne man nie wissen...

(1989)


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