Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

3. Wassernot

Katastrophen treten grundsätzlich am Wochenende ein. So auch diesmal. Am Sonntagmorgen wurde der Amtsarzt von seinem Mitarbeiter davon unterrichtet, dass in der Gemeinde Oberammergau die Trinkwasserversorgung im wahrsten Sinn des Wortes zusammengebrochen war. Ein Felssturz hatte ausgerechnet das Pumpenhaus auf halber Strecke zwischen Brunnen und Hochbehälter zerstört. Eine stärkere Pumpe musste am Brunnenkopf installiert und das defekte Leitungsstück überbrückt werden, bevor der Hochbehälter leer lief und der Ort auf dem Trockenen saß. Aufgabe des Gesundheitsamtes war es, dafür zu sorgen, dass bei all diesen provisorischen Reparaturen hygienisch einwandfreies Wasser abgegeben wurde. Also musste noch zusätzlich auf die Schnelle eine Chlorungsanlage aufgetrieben und angeschlossen werden. Die Arbeitsverteilung lief wie üblich. Während ungezählte Helfer untätig die Strecke säumten, versuchten einige wenige Fachleute, eine zweite Pumpe im Brunnenkopf einzubauen, da die Leistung der ersten nur für die Förderung zum jetzt ausgefallenen Pumpenhaus ausreichte. Gleichzeitig versuchte ein einsamer Baggerführer, das beschädigte Wasserrohr am Felssturz freizulegen. Leider war in den Lageplänen die Leitung auf der falschen Straßenseite eingetragen, was natürlich Verzögerungen mit sich brachte. Das Gesundheitsamt organisierte inzwischen in München ein mobiles Chlordosiergerät und bei einem benachbarten Wasserunternehmen eine leider schon etwas abgestandene Chlorbleichlauge.

Währenddessen rief der Bürgermeister über Lautsprecherwagen und Rundfunk seine Bürger zum Wassersparen auf. Mit durchschlagendem Erfolg, wie sich zeigen sollte. Rascher denn je leerte sich der Hochbehälter. Den Grund hierfür bekam das Gemeindeoberhaupt in seiner eigenen Familie exemplarisch vermittelt. Stolz präsentierte ihm seine findige Ehefrau zuhause eine prall gefüllte Badewanne sowie volle Eimer, so viel der Haushalt hergab. Da offenbar die meisten Bürger so handelten, hatte der gutgemeinte Aufruf den gegenteiligen Effekt.

Inzwischen waren Pumpe und Chloranlage installiert und das defekte Leitungsstück mit Feuerwehrschläuchen überbrückt. Als alles fertig war, zeigte sich pflichtgemäß ein hoher Ministerialbeamter, der noch am gleichen Sonntag eigens aus München angereist war und sich nun stolz alle Maßnahmen erklären ließ. Bevor das frische Nass ins Ortsnetz eingespeist werden konnte, musste noch der richtige Chlorgehalt für die notwendige Desinfektion eingestellt werden. Auch hier zeigte sich der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Aus der Konzentration der Chlorbleichlauge und ihrer Zugabe pro Wassermenge konnte man rechnerisch den gewünschten Wert ermitteln, der tatsächlich gemessene lag ganz woanders. Auch dieses Problem wurde behoben und zuletzt der für eine ordnungsgemäße Chlorung richtige Vorschub eingestellt. Beruhigt verließ der Amtsarzt den Ort des Geschehens.

Einen Tag später schwammen leider einige Essfische wie Forellen in ihren Frischwasserbehältern kieloben. Was war geschehen? Die eingesetzte alte Chlorbleichlauge hatte schon einen Großteil ihrer Wirkung verloren gehabt und war am Montag durch frische und damit stärkere ersetzt worden. Leider hatte niemand daran gedacht, deshalb die Zudosierung entsprechend zu drosseln. So kam es, dass vorübergehend im Netz eine deutlich höhere Konzentration an Chlor vorhanden war, die zwar nicht den Menschen, wohl aber den empfindlicheren Fischen gefährlich werden konnte. Man lernt nie aus.

(1989)


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