Maßnahmen der Seuchenbekämpfung

Die Pest von Ashdod, Ölgemälde 1632

Die Pest von Ashdod, Ölgemälde 1632

Angesichts drohender alter und neuer Seuchen (Influenza-Pandemie "Spanische Grippe" 1918/19, Corona-Pandemie 2020/21) sollten wir den reichen Erfahrungsschatz der Vergangenheit nutzen. Hierfür bietet sich natürlich das an, was wir aus der Bekämpfung von Seuchen in früheren Zeiten lernen können: Als da sind seit dem Altertum die Lepra, im Mittelalter die Pest, im 18. Jh. die Pocken, im 19. Jh. Cholera und Tuberkulose sowie im 20. Jh. Kinderlähmung und Aids. Es kristallisieren sich dabei die folgenden 10 Punkte heraus:

 

1. Flucht

Bereits seit Hippokrates gilt für Seuchenzeiten der folgende Spruch:

Merkspruch bei Seuchen

Merkspruch bei Seuchen

(„Fliehe bald, fliehe weit weg, komm spät zurück – das sind drei Kräuter in der Not!“)

Als im August 1562 die Pest nach Nürnberg kam, wechselte der Stadtrat samt Familien nach Nördlingen, wo sie ein halbes Jahr blieben, bis die Pest abgeklungen war. Zur Erinnerung hinterließen sie ein bemaltes Holzschild mit den Wappen der 31 Patrizierfamilien für die dortige Ratstrinkstube.

 

2. Gesundheitspolizei

Schon im 13. Jh. vor Christus erkannte man die Notwendigkeit, zur Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten besonders kompetentes Personal mit entsprechenden Befugnissen einzusetzen. Nach 3. Mose 13 musste sich zum Ausschluss von Aussatz (Lepra) jede Person mit Hautausschlag einem Priester zeigen. Dieser sonderte den Betroffenen bei Zweifel für 7 Tage und ggf. nochmals 7 Tage ab. Bei positivem Befund erfolgte der Ausschluss aus der Gemeinschaft.

1486 wurde dem Gesundheitsmagistrat der Stadt Venedig als Dauereinrichtung die Aufsicht über Lebensmittelverkehr, Trinkwasserversorgung, Abfallbeseitigung, medizinisches Personal, Krankenhäuser, Unterbringung von Fremden, Überwachung der Bettler, Dirnen und Kuppler sowie der Juden übertragen.

 

3. Schutzkleidung und Kennzeichnung

Pestarzt in Marseille 1720

Pestarzt in Marseille 1720

Schutzkleidung Pestarzt in Marseille 1720: Langes Lederkleid, Handschuhe, Gesichtsmaske mit Schnabel, mit Riechstoffen (Kräutern) gefüllt, „Augen von Kristall“.

Den Peststab mussten alle Personen als Erkennungszeichen dafür tragen, dass sie Umgang mit Pestkranken hatten.

Betroffene Häuser und Leichen wurden mit entsprechenden Symbolen gekennzeichnet.

Warnzeichen Pest 1682/83

Warnzeichen Pest 1682/83

Pestfahne von 1753 bzw.1841

Pestfahne von 1753 bzw.1841

 

4. Absonderung (Quarantäne)

Aus der Erkenntnis heraus, dass die Pest nach 40 Tagen (italienisch: quarantena) nicht mehr auftrat, wurden Personen und Waren aus Pest-Gebieten entsprechend lange abgesondert, so z.B. 1377 in Ragusa (heute Dubrovnik).

Ansteckungsverdächtige und Kranke landeten in Venedig auf einer eigenen Insel mit dem Kloster Nazareth. Aus diesem Namen entwickelte sich der Begriff „Lazarett“.

Wo keine Absonderungseinrichtungen vorhanden waren, wurden Kranke und Gesunde in ihrem Haus isoliert und von Nachbarn oder eigens bestelltem Personal versorgt.

 

5. Desinfektion und Entwesung

Auch wenn man noch keine Ahnung über die tatsächliche Ursache der Seuchen hatte, versuchte man mit Räucherungen und Essigwasser-Waschungen das unbekannte Agens zu eliminieren.

Räucherpfanne aus dem 16. Jh.

Räucherpfanne aus dem 16. Jh.

Durch das Verbrennen von Kräuter- und Gewürzmischungen sollte die vergiftete Luft (Miasma) beseitigt werden. Hierfür wurden Räucherpfannen eingesetzt, die unseren heutigen Vernebelungstöpfen ähneln.

Desinfizierter Cholera-Brief von 1831

Desinfizierter Cholera-Brief von 1831

Selbst Briefe wurden durchstochen in dreiteilige Räucherkästen gelegt.

Zur Kontrolle, ob Stoffe und Waren infektiös waren, mussten Reinigungsknechte mehrmals täglich mit bloßen Armen darin herumwühlen und abwarten, ob sie krank wurden.

 

6. Versammlungsverbot

Als der Amtsarzt von Florenz 1630 auch kirchliche Veranstaltungen untersagte, wurde er vom Bischof der Ketzerei angeklagt. Schließlich wurde der gesamte Gesundheitsmagistrat vom Papst exkommuniziert.

Als in England in einem Dorf der Gottesdienst verboten wurde, fand der Amtsarzt die gesamte Bevölkerung in der Kirche des Nachbarortes wieder.

 

7. Absperrung (Bann, Handels- und Reisebeschränkung)

Über Städte, in denen die Pest auftrat, wurde der Bann verhängt, d.h. der Personen- und Warenverkehr unterbunden. Wegen wirtschaftlicher Interessen stellten betroffene Stadtärzte auch falsche Atteste aus, was eine entsprechende Seuchenspionage der Handelspartner erforderlich machte.

Mit einem 1.900 km langen Pestkordon versuchte Österreich erfolglos, ein Übergreifen der Pest aus dem osmanischen Reich zu verhindern. Gleiches misslang Preußen gegenüber Polen, weil die Cholera über den Seeweg nach Königsberg und Danzig eingeschleppt wurde. Die Häuserabsperrung in Danzig ruinierte die Stadt, weil auch Gesunde nicht mehr zur Arbeit gehen konnten und verpflegt werden mussten.

Von der Pest befallene Dörfer wurden von Militär abgeriegelt:

Schildwachenplan Zimmern bei Erfurt 1682

Schildwachenplan Zimmern bei Erfurt 1682

 

8. Beten und Gelübde

Seuchen wurden immer wieder als Strafe Gottes betrachtet. Deshalb hielt sich die Bevölkerung häufig auch nicht an das Verbot kirchlicher Veranstaltungen.

„Not lehrt Beten.“

Martin Luther empfahl 1527 in seiner Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ regelmäßigen Kirchgang und Predigthören, alle acht oder vierzehn Tage Beichte und Sakrament sowie sicherheitshalber die Hinterlegung eines Testaments.

Als der Taglöhner Kaspar Schisler zu Kirchweih 1632 aus Eschenlohe kommend die Pestwachen umging, brachte er den Schwarzen Tod nach Oberammergau. Dieser flammte erst ab nach dem Gelübde der Passions­spiele, die heute noch alle 10 Jahre abgehalten werden.

 

9. Vorbeugung, Impfung und Behandlung

Der Versuch eines Gegengifts gegen die Pest war das Theriak, eine Mischung aus Opiaten, Schlangengift, getrocknetem Krötenpulver u.a. Zusätzlich schwächte der Aderlass die armen Patienten des 14. Jh.

Impfgegnerkarikatur 1802

Impfgegnerkarikatur 1802

Karikatur der Impfgegner gegen die Kuhpockenimpfung (Radierung von Gillray 1802): Aus den Geimpften schlüpfen kleine Kühe. Beachte auch die Skarifikation = Ritzen am Oberarm.

Jede Impfung fand ihre begeisterten Fürsprecher als auch wegen der oft erheblichen Nebenwirkungen entschiedenen Gegner.

Die frühere Variolation (Impfung mit milden echten Menschenpocken) wurde durch die Vakzination mit Kuhpocken (vacca = lat. Kuh) 1796 dank Jenner abgelöst. Bayern führte bereits 1807 die Pocken-Impfpflicht ein, Preußen (und das Deutsche Reich) erst 1874. Dementsprechend starben 1871 in München nur 89, in Berlin dagegen 623 Menschen auf 100.000 Einwohner.

Vor der Choleraepidemie 1892 in Hamburg hatten sich Senat und Bürgerschaft für den Ausbau des Zollhafens und ein neues repräsentatives Rathaus statt für die vorgeschlagene Sandfiltration des als Trinkwasser verwendeten Elbewassers entschieden. Dieser Beschluss kostete 8.605 Bürgern das Leben (1,34 % der Bevölkerung), fast 17.000 erkrankten.

 

10. Information und Aufklärung

Aufklärerische Pfarrer predigten gegen die öffentliche Meinung, dass Seuchen eine Strafe Gottes seien: Es könne nur im Sinne Gottes sein, sich und seine Kinder gesund zu erhalten, auch durch Impfungen.

Mangelnde Aufklärung gab Verschwörungstheorien Raum: Aus der Beobachtung, dass Seuchen meist in Armenvierteln ausbrachen, leitete man absichtliche Vergiftungen durch die Oberschicht ab. So stürmte bei der Cholera 1831 in Königsberg der Pöbel das Polizeipräsidium, vernichtete die Krankenlisten und verprügelte die Amtsärzte.

Bayern hielt 1857 wegen der vorherigen Choleranot durch Ministerialentschließung besonders die Landbevölkerung aus hygienischer Notwendigkeit zu häufigem Baden an.

Das Kaiserliche Gesundheitsamt in Berlin reagierte auf die Impfgegnerschaft 1896 mit einer bewusst seriös und unemotional gehaltenen Veröffentlichung, in der es deren Argumente zu entkräften versuchte. Eine Europakarte z.B. sollte zeigen, dass in Ländern wie etwa Frankreich oder Russland, Ländern ohne „allgemeine Impfung“, die Pocken noch um ein Vielfaches verbreiteter waren als im Deutschen Reich.

Die umfassende und sachliche Information der Bevölkerung spielt auch heute noch eine entscheidende Rolle, nicht nur zur Vermeidung von Panikreaktionen, sondern auch z.B. bei der Aidsbekämpfung oder beim Beweidungsverbot in Wasserschutzgebieten.

 

Bildernachweis und Copyright:
1: "Die Pest von Ashdod", Nicolas Poussin 1632, Paris,
Musée du Louvre
2: "Merkspruch", selbst gefertigt in Word, Old English Text MD

3: "Pestarzt", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 29
4: "Warnzeichen Pest", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 35
5: "Pestfahne", Deutsches Medizinhistorisches Museum Ingolstadt
6: "Räucherpfanne", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 127
7: "Cholera-Brief", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 211
8: "Pestdorf", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 37
9: "Kuhpocken", „Das große Sterben“, Deutsches Hygiene Museum Dresden 1995, S. 156/157

English Version: Measures for controlling epidemics

 

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