Abenteuer
eines Amtsarztes |
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18. Bürgermeister
Alljährlich hat der Amtsarzt die Ehre und das Vergnügen, an der kommunalpolitischen Informationsfahrt des Landkreises, also dem Bürgermeisterausflug teilnehmen zu dürfen. Dabei werden anderortige Einrichtungen wie Krankenhäuser und Mülldeponien besichtigt und auch Leib und Seele kommen nicht zu kurz. Dem Amtsarzt hätte eigentlich zu denken geben müssen, dass er gebeten wurde, seinen Notfallkoffer mitzunehmen. Auf der feuchtfröhlichen Rückfahrt aus Südtirol kam es zu einem ersten Exzess. Im Bus wurde Rotwein in Plastikbechern ausgeschenkt. Ein mehr als angeheiterter Mitreisender verschüttete das farbige Nass großflächig auf der hellen Sommerhose des Vorgängers des Amtsarztes. Als dieser zu Recht aufbegehrte, wurde er mit rüden Worten zum Schweigen gebracht. Offenbar hatte der Kleckerer aber den Vorfall doch noch mitbekommen, weil er sich Jahre später betreten beim jetzigen Amtsarzt entschuldigte. Welcher Amtsarzt eigentlich sein Opfer gewesen war, war ihm nicht geläufig, auf alle Fälle war es aber einer gewesen, daran erinnerte er sich noch.
Beim nächsten ungeplanten Zwischenstop verließen drei Bürgermeister schwankend den Bus und schlugen sich in die Büsche. Der hinzugerufene Amtsarzt verweigerte die erbetene ärztliche Hilfe mit der Begründung, dass die Patienten sich durchaus selber den Finger in den Mund stecken könnten.
Auch auf der nächsten, diesmal zweitägigen Fahrt kam es zu einem alkoholbedingten Zwischenfall. Des Nachts verließ ein Bürgermeister das gemeinsame Doppelzimmer, um ein stilles Örtchen aufzusuchen. In der Zwischenzeit sperrte sein Amtskollege aus später nicht mehr rekonstruierbaren Gründen die Zimmertür ab. Diese blieb dann auch trotz lautem Klopfen und Rufen des Ausgesperrten verschlossen. So kam es, dass dieser am nächsten Morgen in der Rumpelkammer auf einem Berg Wäsche schlafend aufgefunden wurde.
Ein unangenehmes Ereignis wird der Amtsarzt in bleibender Erinnerung behalten. Er hatte im Speisesaal als erster an einem noch unbesetzten Tisch Platz genommen. Zu ihm gesellten sich die Gemahlin des Landrats, dieser selbst und einige Politprominenz. Schließlich waren alle Plätze besetzt. Plötzlich erschien der Vorsteher des gastgebenden Landkreises in der Tür. Hilfesuchend wandte sich die Frau seines eigenen Landrats an den Amtsarzt. Dieser verstand den Wink und räumte seinen Platz. Als er aufgestanden war, musste er zu seinem unaussprechlichen Entsetzen feststellen, dass inzwischen alle anderen Tische komplett waren und nur ein einsamer Katzentisch in der Ecke noch völlig frei war. Das sind so Momente, wo man am liebsten im Boden versinken möchte. Bevor er sich jedoch als unfreiwillig Ausgestoßener outete, nahm er lieber einen Stuhl und zwängte diesen an die Ecke eines vollbesetzten Tisches. Noch heute ist er den Bürgermeistern dankbar, die ihn bereitwillig und verständnisvoll in ihre Runde aufnahmen.
Die letzten zwei Kurzepisoden hat der Amtsarzt zwar nicht selbst miterlebt, sie runden das Bild aber ab. Ausgerechnet am Wahltag hatte ein Bürgermeister verschlafen und die ersten Wähler standen vor dem verschlossenen Wahllokal. Ein Landtagsabgeordneter einer anderen Partei hängte den skandalösen Vorgang an die große Glocke. Die zweite Episode lief eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Ein Gemeindevorsteher war betrunken im Auto von der Polizei erwischt worden. Diese hatte den Fahrzeugschlüssel sichergestellt. Kurze Zeit später tauchte der Übeltäter mit seinem Jagdgewehr in der Wache auf und verlangte den Schlüssel zurück. Es spricht für den hier heimischen verständnisvollen Menschenschlag, dass beide Volksvertreter selbstverständlich wieder gewählt wurden.
(1996)