Der Amtsarzt im ...

Abenteuer eines Amtsarztes
Unglaublich wahre Kurzgeschichten

... Lauf der Zeit

13. Die Strahlenschutzbrille

Erbost meldete sich die Röntgenassistentin beim stellvertretenden Amtsarzt. Es sei eine Zumutung, mit der neuen Strahlenschutzbrille zu arbeiten. Sie könne die Schaltelemente nur noch mit Mühe erkennen und bedienen und laufe im übrigen wie in dunkler Nacht herum. Außerdem habe sie noch keine Röntgenstrahlen sehen können. Strahlenschutz sei schön und gut, nur müsse er auch praktikabel sein.

Was war geschehen? Im Posteinlauf des Gesundheitsamtes hatte sich ein wie sich später herausstellte fingiertes Schreiben der Regierung befunden mit folgendem Inhalt:

Ausstattung der Röntgeneinrichtungen der staatlichen Gesundheitsämter mit Strahlenschutz-Sicherheitsbrillen

Anlage: 1 Strahlenschutz-Sicherheitsbrille

Anlässlich des Inkrafttretens der neuen Strahlenschutzverordnung (StraSchuVO) ordnet die Regierung von Oberbayern in Ausübung ihrer Fürsorgepflicht folgendes an:

  1. Alle Bediensteten der Röntgenabteilungen haben ab sofort beim Röntgen die in der Anlage gelieferten Strahlenschutz-Sicherheitsbrillen zu tragen.

  2. Von allen Trägern der Strahlenschutz-Sicherheitsbrille ist ein detaillierter Erfahrungsbericht über Tragekomfort, Rundumsicht, Nachtsichtverhalten, Strahlendichtigkeit und Bruchsicherheit über die Amtsleiter der Regierung zuzuleiten. Termin 20.01.1989!

  3. Es werden nur 3 Standardgrößen von StraSchuSi-Brillen ausgegeben. Sollte wider Erwarten bei erheblich von der Norm abweichenden Kopfformen keine befriedigende Passform zu erzielen sein, so ist für die für Anfang März geplante Ringtauschaktion vorab der Regierung der diagonale Schädelaußendurchmesser (sogenanntes lineares Hirnstandard-Maß nach Krückemaier) auf ganze Zentimeter gerundet mitzuteilen. Termin 31.01.1989!

  4. Nur für die Gesundheitsämter Garmisch-Partenkirchen, Dachau und Wunsiedel: Die an diese Ämter gelieferten StraSchuSi-Brillen sind bereits mit den völlig neuartigen "Identifix®"-Spezialgläsern versehen. Mit diesen Brillen ist es möglich, die Röntgenstrahlen bei der Anwendung sichtbar zu machen und zu beobachten. Die mit diesen Indentifix®-Brillen ausgestatteten Bediensteten haben über den in Ziffer 2 geforderten Erfahrungsbericht hinaus sofort der Amtsleitung zu melden, wenn sie Röntgenstrahlen beobachten, die den Röntgenraum oder gar das Amtsgebäude verlassen.

  5. Es ist der Regierung - beraten durch die Institute "Rudolfo Dior Paris" und "Carl Lagerhaus Wanne-Eickel" - gelungen, den Strahlenschutz-Sicherheitsbrillen ein zeitlos schönes Design zu geben, weshalb vorsorglich und nachdrücklich darauf hingewiesen wird, dass diese Brillen außerhalb der Dienstzeiten nicht getragen werden dürfen. Weiter ist die Beobachtung nicht amtseigener Röntgenstrahlung untersagt.

  6. Die Amtsleiter überwachen den strikten Vollzug dieser Anordnung.

Gezeichnet Dr. H. Klarsicht, Regierungsstrahlendirektor

Anzumerken bleibt zum Schluss dieser Geschichte, um auch den letzten Leser über diesen Streich aufzuklären, dass es sich bei der beigefügten Strahlenschutz-Sicherheitsbrille um eine ganz gewöhnliche Schweißerbrille mit geschwärzten Gläsern gehandelt hat.

(1989)


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